männlich-weibliches Walnußgehirn

Ich besitze ein kleines Kunstobjekt: Das schwarz verfärbte Innere einer Walnuss tanzt auf einer Spirale. Auf dem Sockel steht "The dark side of the brain". Welche der beiden Nußseiten damit gemeint ist, bleibt offen.

Nach landläufigem Verständnis teilt man das menschliche Gehirn in eine rechte, ganzheitlich denkende Seite ein, und in eine linke, bei der das Analytische vorherrscht. Sozusagen weibliches und männliches Denken.
Landläufig sagt man auch, dass Männer Macher sind und Frauen viel reden.
Nun kenne ich aber mehrere Männer, die viel reden und sich gern im Vorhof des Tuns aufhalten. Neulich kam ich mit Bertl von einem Herbstspaziergang zurück. Er wolle noch an den See, sagte er bei der Verabschiedung.
"Du an den See" wunderte ich mich "das ist ungewöhnlich."
Schon, aber er hatte ein nützliches Ziel. Er wollte Walnüsse sammeln.
"Also dann. Bis die Tage." Wir winkten uns zu.

Meine Wohnung lag schon im Schatten. Der See dagegen glitzerte noch. Spontan packte ich einen Apfel, mein Buch und ging ans Wasser auf die Gefahr hin, Bertl dort beim Walnuß sammeln zu stören. Erleichtert sah ich, dass ich die Wiese für mich hatte. Ich versenkte mich in mein Buch bis es fröstelig wurde. Die Sonne stand inzwischen tief und färbte das Wasser golden. Ich war noch immer allein und sah zum Walnußbaum. Wenn er nicht kam, gehörten die Nüsse mir, oder? Während ich sie zwischen den trockenen Blättern herausklaubte und von sutschigen Schalenresten befreite, fiel mir auf, dass Bertl öfters davon redet etwas tun zu wollen. Eher selten folgt dann ein tatsächliches Tun.
"All talk no trousers" sagen die Engländer. Ich ertappe mich dabei, dass ich verachtungsvoll schnaube und es irgendwie besser finde, Nüsse tatsächlich zu sammeln statt anzukündigen, sie sammeln zu wollen.
Das Flügelbrausen von sechs Singschwänen lenkt meinen Blick in die Weite. Von dort kommt mir ein neuer Gedanke. Vielleicht ist es ja mein Problem, dass ich hingeworfene Worte ernst nehme, sie als Absichtserklärung verstehe. Möglicherweise hat es Vorteile, sein Leben auf der Wortebene erst einmal auszuprobieren, die Möglichkeiten durchzuspielen, und dann vieles gar nicht mehr leben zu müssen. Ein Rezept für die Vorsichtigen. Aber sind Männer der Saga nach nicht mutig bis draufgängerisch? Trotzdem könnte dieses Nicht -Tun ein Indiz für analytisches, vulgo männliches Denken sein. Wer analysiert, zerlegt etwas in einzelne Teile. Die Möglichkeit wird von der Realisierung abgespalten. Wenn man das überhöhen will, nennt man es Strategie.
Strategisch geplant war mein Nüsse sammeln nicht, aber effektiv. Ist das weiblich? Vielleicht geht es ja zurück auf Stammesgeschichtliches. Schon damals haben die Frauen Beeren und Nüsse gesammelt.  Und die Männer?

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