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  Was für ein merkwürdiges Erlebnis, nach Jahren noch einmal in Hohenems zu sein, dem Städtchen, in dem ich nach einer Recherchereise das Leben der Erbtante aus meinem Roman "Leben Lieben Erben" verortet habe. Fiktion und Wirklichkeit mischten sich in meinem Kopf auf sonderbare Weise. Schon wollte ich die Tante auf dem Friedhof besuchen, als mir klar wurde, dass sie dort nur in meiner Fantasie beerdigt ist. Und als ich sah, dass das Haus eingerüstet war, das mir als Vorbild für ihre Villa gedient hatte, war ich an Stelle der Tante empört. Die Psychologie weiß ja schon länger, dass unsere Erinnerung nicht unbedingt den Fakten entspricht. Aber dass sich angesichts der Orte in Hohenems meine Fiktion lebendiger anfühlte als die Fakten, das lässt mich mit neuem Blick auf Politiker blicken, welche sich die Realität zurechtbiegen. Es sind gar keine Lügner, es sind Romanautoren, die ihrer Fantasie mehr glauben als der Wirklichkeit.

Mein Lesetipp

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Gabrielle Zevin: "Morgen, Morgen und wieder Morgen" 560 Seiten satte Lektüre. Mich, eine Nicht-Spielerin und Nicht-Gamerin hat die Geschichte von zwei amerikanischen Spiele-Entwickler*innen in den Neunziger und Nuller Jahren dermaßen in den Bann gezogen, dass ich kaum aufhören konnte zu lesen. Denn ich erfuhr zwar auch allerlei über die Frühzeit der Internetspiele, aber eigentlich geht es um Menschen, um Freundschaft, um unkonventionelle Facetten von Liebe, um Erfolg und Niederlage, um Verrat und Entfremdung. Und immer wieder um das Leben als Spiel, um die Flucht vor dem Leben ins Spiel, und um das sich wiederfinden im Spiel. Es geht ums Erwachsenwerden, um beschädigtes Leben, um Verluste und schließlich ums älter werden, um eine Konfrontation mit der neuen Generation, die ganz anders tickt. Wo die Älteren noch versuchten, ihre Traumata schamhaft zu verbergen, scheinen die Nachfolgenden sie stolz vor sich herzutragen…  Für mich hätte das Buch noch ein paar hundert Seiten mehr

Mein Lesetipp

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Der Sommer war heiß und lang, da habe ich viel gelesen...  "Schönwald" von Philip Oehme hat mir so gut gefallen, dass ich das Buch hier empfehlen möchte. Der Roman ist auf den Punkt zeitgeistig. Er spiegelt auf unterhaltsam spannende Weise die ganze Verwirrung zwischen political correctness, identitärer Protestkultur, Poststrukturalismus und neuer Rechter, indem er einige Tage im Leben der gutbürgerlichen Familie Schönwald erzählt.  Die Geschichte beginnt spektakulär, mit dem ältesten Sohn, einem ehemals linken Professor in New York, der sich, wegen der Verstrickung in eine Me-Too-Affäre gefeuert, von der Alt Right Bewegung anwerben ließ, und nicht weiß, wie er das seiner Familie beibringen soll. Man trifft sich in Berlin zur Eröffnung des queeren Buchladens seiner Schwester. Farbbeutel treffen die Schaufensterscheibe. Das Geld für den Laden stammt vom deutschen Großvater, angeblich einem Nazi. Die Protestierenden, in Berlin geborene POCs (People of Colour), brauchen dafür ke

Luise und das Paket aus England

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Schon vor dem Brexit fand Luise den Paketversand zwischen Deutschland und England unverhältnismäßig teuer. Doch seit die Briten sich vom Kontinent losgesagt haben, ist der Versuch, Selbstgebackenes, gerahmte Familienfotos, Badesalze und Ähnliches zu verschicken, schwieriger geworden als es für Kafkas Landvermesser war, den Zugang zum Schloss zu finden. Zollerklärungen mit genauen Wert- und Gewichtsangaben für jedes einzelne Teil sind auszufüllen. So wiegt Luise zur Weihnachtszeit nicht nur Mehl und Zucker zum Backen auf der Küchenwaage ab, sondern später noch einmal die fertig gebackenen und glasierten Plätzchen. Eigentlich müsste sie auch den Tannenzweig, den sie dazu legt, wiegen. Aber als was soll sie den deklarieren? Kurz entschlossen gibt sie den Plätzchen 20 Gramm mehr und verschweigt das weihnachtliche Grün auf der Zollerklärung. Die mit Nelken gespickte Orange, die so schön duftet, lässt sie dann aber vorsichtshalber weg. Man muss das Schicksal nicht zu sehr herausfordern. Haup