Luise und das Paket aus England


Schon vor dem Brexit fand Luise den Paketversand zwischen Deutschland und England unverhältnismäßig teuer. Doch seit die Briten sich vom Kontinent losgesagt haben, ist der Versuch, Selbstgebackenes, gerahmte Familienfotos, Badesalze und Ähnliches zu verschicken, schwieriger geworden als es für Kafkas Landvermesser war, den Zugang zum Schloss zu finden.

Zollerklärungen mit genauen Wert- und Gewichtsangaben für jedes einzelne Teil sind auszufüllen. So wiegt Luise zur Weihnachtszeit nicht nur Mehl und Zucker zum Backen auf der Küchenwaage ab, sondern später noch einmal die fertig gebackenen und glasierten Plätzchen. Eigentlich müsste sie auch den Tannenzweig, den sie dazu legt, wiegen. Aber als was soll sie den deklarieren? Kurz entschlossen gibt sie den Plätzchen 20 Gramm mehr und verschweigt das weihnachtliche Grün auf der Zollerklärung. Die mit Nelken gespickte Orange, die so schön duftet, lässt sie dann aber vorsichtshalber weg. Man muss das Schicksal nicht zu sehr herausfordern. Hauptsache, das Fotobuch kommt rechtzeitig an.
Am Schalter zahlt Luise 32 Euro Postgebühren. Etwa so viel wie der Inhalt wert ist. Aber es geht nicht ums Geld, es geht ums Ideelle.
Drei Tage vor Weihnachten kommt per Whatsapp das ersehnte Bestätigungsfoto. Das Paket ist rechtzeitig angekommen. Die Kinder haben am Heiligen Abend etwas von ihr auszupacken.

Das Paket mit den Kinder- und Enkelgeschenken aus London aber wird aufgehalten. Die erste Etappe nach Nürnberg hat es laut Paketverfolgung reibungslos zurückgelegt. Doch von dort aus wird es nicht weiterbefördert. Wegen einer nicht näher spezifizierten Beanstandung der Zollbehörde bleibt es in der Paketverteilzentrale liegen. Über die Weihnachtstage, über Sylvester, bis zum dritten Januar. Als in Deutschland wieder gearbeitet wird, bekommt die Familie in England eine Nachricht, die besagt, dass man die Wahl habe zwischen einem kostenpflichtigem Rückversand des Paketes und einer Entsorgung.

Man entscheidet sich gegen eine Zerstörung des Pakets in der Zerkleinerungsanlage eines Müllunternehmens und für einen kostenpflichtigen Rückversand. Immerhin besteht so die Hoffnung, dass Luise ihr Paket in England persönlich in Empfang nehmen kann. Denn sie ist inzwischen zu einem Sylvesterbesuch in London eingetroffen.

Nachdem der Importzoll für das nicht importierte Paket, sowie eine Bearbeitungsgebühr zuzüglich erneuter Postgebühr bezahlt sind, schicken die Nürnberger das Paket zurück ins Vereinigte Königreich. Leider an ein Verteilzentrum in Manchester und nicht nach London, wo Luise zum Zeitpunkt der Wiederankunft des Paketes in England noch weilte.

Da niemand nach Manchester reisen wollte, um das Paket dort abzuholen, fiel eine weitere Postgebühr an. Und endlich, nur einen Tag nach Luises Abreise kam das ihr zugedachte Paket wieder dort an, von wo aus es seine Rundreise für insgesamt 64 Pfund angetreten hatte.

Luises Enkel freuten sich über einen unverhofften Nachschub an Weihnachtsgebäck mitten im Januar. Die Eltern aber beschlossen, im nächsten Jahr auf sentimentalen Klimbim zu verzichten und Amazon für ein Geschenk zu bemühen.


In Deutschland hatte die Sache derweil ein Nachspiel.
Eine Woche nach ihrer Rückkehr bekam Luise eine Rechnung von UPS.

Sie sollte 13 Euro für das Paket, das niemals bei ihr angekommen war bezahlen, unter Androhung einer Säumnisgebühr von bis zu 40 Euro, falls die Rechnung nicht innerhalb von 7 Tagen nach Erhalt beglichen würde. Für Rückfragen war eine gebührenpflichtige Telefonnummer angegeben. Die wählte Luise, landete in einer Warteschleife und wurde auf eine Mailadresse verwiesen, an welche sie sich wenden könne. Luise musste die Nummer dreimal wählen, bis es ihr gelang, die komplizierte Zahlen- und Buchstabenfolge der Adresse zu notieren.

Dann telefonierte sie mit dem Schwiegersohn. Der schickte ihr die Bestätigung seiner Zahlungen an UPS. Luise fügte sie als Anhang an ihre Protestmail.
Betrifft Ihre Rechnung Nr.1243575973
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu meiner Überraschung bekomme ich von Ihnen eine Rechnung zu einem Paket, das zwar einen Monat unterwegs war, aber nie bei mir angekommen ist. Zudem hat mein Schwiegersohn bereits erhebliche Gebühren für dieses Weihnachts-Geschenk-Paket bezahlt. Siehe die Bestätigung von UPS als Anlage. Und nun soll ich als Nicht-Empfängerin dieses Paketes noch einmal 13 Euro bezahlen? Wofür?
Beste Grüße,


Leider blieb die Mail ohne Reaktion. Nach vier Tagen überlegt Luise, ob eine unbestätigte Mail aufschiebende Wirkung für Mahngebühren hat. Sie fürchtet, eher nein. Und so beschließt sie, um weiteren Ärger zu vermeiden, die 13 € zu überweisen. In diesem Moment trifft doch noch eine Nachricht von UPS ein.

Luise wird mit sehr geehrte Damen und Herren angeredet, was darauf schließen lässt, dass es sich um einen vorformulierten Brief handelt. Was danach kommt, ist in einem Deutsch gehalten, das Luise nicht versteht:

Ich moechte Ihnen mitteilen, dass diese Rechnung Ihnen automatisch ausgebucht werden wird.
Luise vermutet, dass die Rechnung storniert wurde. Aber sicher ist sie nicht. Für weitere Fragen steht wieder die gebührenpflichtige Telefonnummer da. Darunter aber, dick gelb hinterlegt prangt eine Warnmeldung. CAUTION! This email originated outside of the organization. Please do not open attachments or click links from unknown or suspicious origin.
Verschreckt schaltet Luise ihren Computer aus.

Am nächsten Tag geht sie das Ganze mit kühlem Kopf erneut an.
Sie entwirft eine Mailantwort: Does "ausgebucht" mean, that I do not have to pay? Nein, das hört sich so an, als rechne sie eigentlich damit, zahlen zu müssen. Das kann sie so nicht abschicken. Sie steht auf und öffnet das Fenster. Ein Vogel zwitschert, als sei schon Frühling. Zuversichtlich beschließt Luise, jetzt einfach mal zu glauben, dass ihr Einspruch Erfolg hatte. Und wenn in den nächsten vier Wochen keine Mahnung eintrifft, dann ist alles gut gegangen.


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